In den letzten Jahren ist "Disruption" zu einem häufig verwendeten Buzzword geworden, um plötzliche Veränderungen zu beschreiben, sei es durch Innovation, globale Ereignisse oder verändertes Nutzer:innenverhalten. Aber wann ist es wirklich "disruptiv" und wie kann man Disruption bewerben?
Inhalt:
Der Begriff hat unterschiedliche Bedeutungen im allgemeinen Sprachgebrauch, unter denen einige sehr spezifischer Natur sind.
Die meisten von uns definieren "Disruption" als ein Ereignis, das Routinen unterbricht, den Status quo verändert oder uns auf andere Weise einen Strich durch die Rechnung macht. Kurz gesagt: Disruptionen sind in der Regel unerwartet und haben daher viel Potenzial, Märkte, Verhaltensweisen und ganze Gesellschaften zu verändern.
Es gibt jedoch auch sehr spezifische Definitionen, die ganz bestimmte disruptive Phänomene insbesondere in der Wirtschaft beschreiben.
So beschreibt der Begriff "disruptive Innovation" (geprägt von Clayton M. Christensen) Produktinnovationen, die zunächst gar nicht darauf abzielen, größere Märkte zu bedrohen. Stattdessen versuchen sie, Kund:innen anzusprechen, die aus verschiedenen Gründen nicht berücksichtigt wurden. Entweder, weil sie als "Low-End"-Kund:innen weniger Budget haben oder weil sie sehr spezielle Bedürfnisse haben, die für den bestehenden Markt nicht relevant bzw. gewinnbringend genug sind.
Im folgenden Blogbeitrag werde ich mich übrigens vermehrt auf den hervorragenden Artikel "What Is Disruptive Innovation" beziehen, geschrieben von Michael E. Raynor, Rory McDonald und Clayton M. Christensen.
Durch disruptive Innovationen werden also oft neue Märkte erschlossen, anstatt bestehende Märkte zu stören. Es besteht jedoch das Potenzial, in bestehende Märkte einzudringen, wenn diese neuen Produkte durch Optimierungen oder unvorhergesehene Anwendungsfälle über die zuvor anvisierten, neuen Kund:innengruppen hinauswachsen.
"Disruptive Innovationen werden von den meisten Kund:innen eines etablierten Unternehmens zunächst als minderwertig angesehen. In der Regel sind diese Kund:innen nicht bereit, auf das neue Angebot umzusteigen, nur weil es billiger ist. Stattdessen warten sie, bis die Qualität zufriedenstellend gestiegen ist. (Raynor, McDonald, Christensen)
Diese Theorie ist besonders interessant, weil sie den Mythos der immer erfolgreichen Disruptoren dekonstruiert und gleichzeitig einigen oft als "disruptive Innovatoren" bezeichneten Unternehmen den Titel nimmt.
Beispielsweise ist Tesla nach Christensen kein innovativer Disruptor, weil das Unternehmen seine Produkte nicht auf Kund:innen des niedrigpreisigen Marktsegments ausgerichtet hat - schließlich ist Tesla eine Luxusmarke. Auch hat Tesla keinen neuen Markt geschaffen. Christensen würde Tesla eher als "nachhaltige Innovation" bezeichnen, also ein Produkt, dass innerhalb eines bestehenden Markts optimiert wird (z.B. in diesem Fall durch nachhaltige Technologie und künstliche Intelligenz).
Fragt man herum, so würden viele zustimmen, dass Veränderungen, vor allem im geschäftlichen Umfeld, eigentlich eine gute Sache sind und oft dringend notwendig sind. Aus psychologischer Sicht können Veränderungen jedoch auch schwierig sein, da sie Menschen aus ihrer Komfortzone zwingen, Risiken mit sich bringen und insbesondere ohne Vorwarnung das Gefühl vermitteln, das Universum würde einem Streiche spielen.
Ob Disruption etwas Gutes oder etwas Schlechtes ist, hängt daher stark davon ab, ob Sie die disruptiven Unternehmen fragen (oder die Unternehmen, die sich schnell an die Disruption anzupassen konnten) oder diejenigen, deren gesamten Geschäftsmodelle durch den Wandel zerrüttet wurden.
Vor allem Start-ups werden oft als große Disruptoren dargestellt, die alteingesessene Unternehmen bedrohen. Doch selbst Raynor, McDonald und Christensen schreiben, dass es schwierig ist, zu erkennen, ob ein innovativer Disruptor tatsächlich eine Gefahr für einen bestehenden Markt darstellt. So schreiben die Autoren, dass diese Disruptoren oft genug Probleme mit der Konkurrenz im gleichen neuen Markt haben.
So sind disruptive Innovatoren selten als Einzelgänger unterwegs und müssen sich daher erst einmal gegen ihre unmittelbaren disruptiven Gegenspieler behaupten. Erst dann können sie sich soweit weiterentwickeln, dass sie mit den oftmals finanziell stabileren "Big Playern" der bestehenden Märkte konkurrieren können.
"Erfolg ist nicht in der Definition von Disruption enthalten: Nicht jeder disruptive Weg führt zu einem Triumph, und nicht jeder triumphierende Newcomer folgt einem disruptiven Weg." (Raynor, McDonald, Christensen)
Anstatt die Disruption als inhärente Bedrohung zu sehen, ist es besser, sie auf einem Spektrum zu verstehen, um Reaktionen zu vermeiden, die entweder zu zahm (Ignorieren der Disruption) oder zu aggressiv sind (starke Investitionen bevor der Markteinfluss identifiziert wurde).
Clark Gilbert und Joseph L. Bower weisen in ihrem Artikel "Disruptive Change: When Trying Harder Is Part of the Problem" auf einen hervorragenden Punkt hin:
"Es ist möglich, eine organisatorische Herangehensweise zu entwickeln, bei der einerseits das Adrenalin einer Marktbedrohung als auch die Kreativität eines Marktpotenzials gemeinsam wirken können." (Gilbert, Bower)
Wie bei allen Veränderungen kann fast jede Situation sowohl eine Bedrohung als auch eine Chance darstellen. Und hier ist die harte Wahrheit: Es ist nicht einfach, die Entscheidungsfindung so auszubalancieren, dass sie kugelsicher ist.
Manche Disruptoren dringen nie in bestehende Märkte ein. Manche tun es, verschwinden jedoch schnell wieder. Einige florieren oder dringen sogar in unerwartete Märkte ein (z. B. wird vermutet, dass Videokonferenzen den Bedarf an Flugreisen für Geschäftstreffen und Konferenzen stark verringert haben). Einige stellen eine Bedrohung für ein Unternehmen dar, aber nicht für andere Unternehmen, da Kund:innenerwartungen, Markenwahrnehmung und Loyalität unterschiedlich ausfallen.
Manchmal braucht eine Disruption Zeit und kann anfangs unterschätzt werden (z. B. ist Netflix ein so erfolgreicher, disruptiver Innovator, weil die bestehenden Videomärkte nicht erwartet haben, dass es sich über einen so langen Zeitrum hinweg zu einem derartig starken Konkurrenten entwickeln würde).
Raynor, McDonald und Christensen schreiben, dass eine Überreaktion einem Unternehmen ebenso schaden kann wie das Ausbleiben jeglicher Reaktion.
Nach Gilbert und Bower geht es derweil nicht darum, ob auf eine potenzielle Bedrohung reagiert wird, sondern wie dies geschieht. Oft beginnt es damit, dass die neue Entwicklung als Bedrohung angesehen wird, was in der Regel zu einer Entscheidungsfindung führt, die weniger auf Innovation und Wachstum, sondern vielmehr auf den Schutz des Status quo ausgerichtet ist.
Gilbert und Bower betonen dies in ihrem Artikel und schreiben, dass eine intensive Reaktion auf eine Bedrohung oft nicht genug Raum für Kreativität lässt, sondern häufig zu Fehlern führt, die zwar sehr menschlich sind, aber auch schnell nach hinten losgehen können:
Ein guter Überblick über den bestehenden Markt, den "neuen" Markt sowie Ihren eigenen Kund:innenstamm und Ihr Ökosystem kann Ihnen helfen, zu erkennen, wie groß die Bedrohung (oder Chance) durch eine Disruption sein kann. Dazu gehört auch ein genauer Blick auf die technologischen Entwicklungen abseits des Hypes.
Oft genug können Einschränkungen (technisch, finanziell, rechtlich, funktional) einen Disruptor aufhalten, bevor er überhaupt zu einem Konkurrenten werden kann.
Alle Autoren scheinen sich einig zu sein, dass eine sofortige Reaktion nicht notwendig ist und Unternehmen sogar langfristig schaden kann.
Da sich die Disruption - trotz ihres Namens - über Jahre hinweg entwickeln kann, lohnt es sich, Zeit in die Beobachtung und Analyse zu investieren, um Entscheidungen zu treffen, die nicht auf Impulse oder Angst, sondern auf Potenzialen beruhen.
Das bedeutet auch, dass man bei der Finanzierung und der Ressourcenplanung nicht sofort mit voller Kraft vorgehen muss. Ein gemäßigter schrittweiser Ansatz, der es dem Unternehmen ermöglicht, agil und nachhaltig zu handeln, kann dabei unterstützen, Mehrwerte zu identifizieren und so gezielt zu investieren.
Gilbert und Bower heben in ihrem Artikel hervor, dass erfolgreichen Unternehmen ihre Ressourcen und Investitionen zwischen Kerngeschäft und Innovation üblicherweise trennen. Das hilft den Arbeitsgruppen, einerseits das Kerngeschäft zu schützen und zu stärken und andererseits neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, ohne sich gegenseitig - teilweise widersprüchlich - im Wege zu stehen.
Wichtig dabei ist, dass gerade Budgets, Ressourcen, Verantwortlichkeiten und Ziele nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis voneinander getrennt sind. Gilbert und Bower gehen sogar so weit, vorzuschlagen, dass die verschiedenen Teams auch physisch voneinander getrennt arbeiten sollten, um nicht in Konflikte zu geraten.
"Losgelöst von den Verpflichtungen gegenüber der Muttergesellschaft konnten eigenständige Unternehmen das neue Geschäft als unabhängige Chance betrachten und ihre Pläne entsprechend ausrichten."
Innovation sowie die Stärkung des Geschäfts sind in Zeiten des Fachkräftemangels nicht einfach. DIGITALL bietet daher Managed Services für unterschiedliche IT-Bereiche an, von der Entwicklung bis zur Implementierung sowie Cyber Security-Management.